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letzte Änderung:
2023-08-14 22:06

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Replik auf Leahs Gedanken „Die Reduktion“, 2023-06-26

Ich bin vor kurzem von Leah auf Social Media auf ihren Artikel Die Reduktion aufmerksam gemacht worden, als ich sie bat, ihre nur aus einem Satz bestehende Fundamentalkritik am TelepolisArtikel Genderpolitik: Warum das geplante Selbstbestimmungsgesetz rückschrittlich ist zu präzisieren bzw. zu schreiben, was daran denn so problematisch sei. Leider kam nur der Hinweis auf ihren eigenen Text, den ich aber nicht als Reihe von Gegenargumenten auffassen kann.

Aber da ich ihn nun gelesen habe, möchte ich – konkret und Punkt für Punkt, nicht etwa zusammenhanglos – etwas dazu schreiben:

  1. Die Begriffe cis und trans
    Sie schreibt von einem „bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht“, als schicke jemand auf dem Amt einen an „Schalter 3“. Das Geschlecht wird nicht zugewiesen, sondern lediglich eingetragen – nachdem es festgestellt wurde. Im Wort „zuweisen“ steckt immanent etwas von Beliebigkeit, denn laut Wiktionary ist die Bedeutung „die Zuordnung bestimmen“, was hier schließlich gar nicht zutrifft.
  2. Sie fragt den Leser (dieses Wort ist hier geschlechtsneutral und damit inklusiv), woher er denn sein Geschlecht wisse und geht davon aus, dass es ein „diffuses Gefühl“ sei, basierend auf eigenen körperlichen Merkmalen. Letzteres ist richtig, denn Geschlecht ist ganz schlicht daran gekoppelt und gar nicht diffus.
  3. „Das Empfinden gegenüber dem eigenen Körper ist, wie bei allen Menschen, auch bei trans Personen sehr unterschiedlich.“ Also ist eine Unterscheidung zwischen trans- und nicht-trans-Personen (man achte auf die Bindestriche, denn trans ist in erster Linie ein Präfix und kein Adjektiv, auch wenn es in manchem Jargon mittlerweile so verwendet wird) gar nicht notwendig. Die meisten Menschen sind mit ihrem Körper nicht wirklich zufrieden, sei es wegen schlechter Gesundheit, der Größe, der Gestalt, der Haut- und Haarfarbe, der Stimme oder Figur usw. usf. und in manchen Fällen auch wegen der Geschlechtsmerkmale. Warum man nun nur dieses eine Merkmal – das Geschlecht – gegenüber allen anderen Merkmalen für die Identität so dermaßen ins Zentrum stellt und Abweichungen bezüglich diesem Aspekt gegenüber allen andere privilegiert, hat sich mir noch nicht erschlossen.
  4. Viele Menschen empfinden keine Kongruenz zwischen ihrem Selbstbild und ihrem Spiegelbild. Warum nun ausgerechnet das Geschlecht so allentscheidend sein soll, dafür habe ich noch keine Begründung gefunden. Ob sich ein Mann eher als Frau sieht oder ein großer, dicker Mensch eigentlich eher als klein und schmächtig, ein schwarzer Mensch sich eigentlich weiß vorkommt usw. usf. – wo soll da der Unterschied sein? Aber das eine wird als gesellschaftliches Problem dargestellt und die Gesellschaft für die Durchführung geschlechtsangleichender Operationen in Haftung genommen, während das bei allen anderen Abweichungen zwischen Realität und der eigenen Vorstellung des Selbst (Identität) nicht so ist. Ja, es geht nicht ohne Adaptivität (oder Anpassungsintelligenz). Diese ist auch vonnöten, wenn man erwachsen wird, den Job wechselt, sich die Familiensituation ändert, einen Unfall hatte oder wenn man krank wird. Es hilft nicht, dem gewünschten (und vielleicht sogar tatsächlich empfundenen) schönen und gesunden Körper hinterherzutrauern, wenn er nun einmal nicht oder nicht mehr da ist.
  5. Ach, die Hautfarbe, die Größe und alle anderen Merkmals muss man einfach mal so akzeptieren, weil es nun einmal so ist. Aber warum dann nicht auch beim Geschlecht? Vor allem, weil die Konsequenzen aus der Tatsache, einem Geschlecht anzugehören, heute wesentlich weniger sind als in der Menschheitsgeschichte. Der aufgrund anderer körperlicher Merkmale diskriminierte Mensch hat also einfach Pech gehabt?
  6. Vielleicht ist ja gar nicht das körperliche Geschlecht falsch, sondern das was „der Kopf erwartet“. Warum muss dann der Körper mit Hormonen des anderen Geschlechts geradezu vergewaltigt werden, damit einer Frau ein Bart wächst und einem Mann eine Brust?
  7. „Bei diesen Möglichkeiten geht es nämlich nicht darum, Stereotype zu reproduzieren, sondern zufrieden mit sich selbst zu sein und manchmal auch keinen Gegenwind zu bekommen.“ Aber genau das tut die operative Geschlechtsangleichung doch: Stereotype reproduzieren.
  8. „Ich kenne so viele Frauen, die so unterschiedlich sozialisiert wurden und viele Männer, die ebenso unterschiedlich sozialisiert wurden, dass ich es für schwierig halte, das Frausein an etwas wie der Sozialisation oder der reinen Biologie festzumachen.“ Das mag deine ganz persönliche Einschätzung sein, aber fast alle Menschen machen Frausein schlicht an der Biologie fest – und nicht an der Sozialisation. Alles andere ist auch nicht beweisbar, sondern lediglich geäußertes Gefühl.
  9. Auch wenn es – in sehr geringen Zahlen – Abweichungen vom reinen Mann/Frau-Schema gibt, so ist die Einteilung doch eine sehr pragmatische. Vera F. Birkenbihl hat das in vielen Vorträgen dargestellt, z. B. Mehr als ein kleiner Unterschied.
  10. „Warum reduzieren wir uns selbst auf etwas wie Chromosomen, Genitalien etc. wenn wir doch so viel mehr sind als das?“ Ganz einfach, weil Chromosomen und in der Folge ausgebildete Genitalien schlicht unser Geschlecht bestimmen. Das ist keine Reduktion, sondern lediglich die Feststellung einer Tatsache. Alle anderen Aspekte eines Menschen bleiben davon völlig unberührt. Postmodernistisch gesehen gibt es natürlich keine echten Tatsachen, siehe Cynical Theories – das Buch gibt es auch in deutscher Übersetzung.
  11. „Bestimmte Körperteile mögen bestimmte Funktionen haben, sie definieren aber kein Geschlecht. Macht es den Menschen nicht gerade zum Menschen, dass er sich über den rein körperlichen Aspekt seiner Existenz hinaus entwickelt hat?“ Natürlich definieren Körperteile ein Geschlecht; selbst dann, wenn es dysfunktional ist (steriler Mann beispielsweise). Selbstverständlich hat sich der Mensch auch geistig entwickelt – nur hat das überhaupt nichts mit seinem Geschlecht zu tun, sondern ist orthogonal dazu..
  12. „Genau das ist der Punkt, die Biologie hat die Reproduktion zum Ziel, der Rest ist aber viel komplexer.“ Ja, genau dafür sind die Geschlechter da. Und jeder von uns hat einfach eines bekommen, ob uns das nun passt oder nicht. Aufgaben im Sinne von (beruflichen oder gesellschaftlichen) Tätigkeiten sollte man tatsächlich nicht biologisch definieren, aber das geschieht ja auch immer weniger. Genau deshalb ist das ständige Herumreiten auf dem (sozialen) Gender als dem eigentlichen Geschlecht auch so kontraproduktiv.
  13. „Menschen ändern ja meistens nicht ihr Geschlecht, sondern sagen der Welt, dass sie sich geirrt hat und was richtig ist.“ Das heißt, sie sagen, die Welt sei doof und nur sie selbst seien weise. Und natürlich möchten sie ihr Geschlecht ändern, mit Hormonen und evtl. auch mittels Operation. Irrtum setzt einen Fehler voraus. Welchen Fehler hat denn die Hebamme gemacht, als sie das Geschlecht des Säuglings festgestellt und eingetragen hat? Die Konsequenz der Nicht-Erkennbarkeit des richtigen Geschlechts anhand körperlicher Merkmale wäre ja, den Eintrag offen zu lassen, bis Anhaltspunkte dafür bestehen, das Geschlecht zu erkennen. Kann das der Weg sein?
  14. „Bei all diesen Themen sollten wir allerdings eines nicht vergessen, nämlich dass wir cis Mädchen schon sehr früh eine hormonelle Behandlung mittels der Pille erlauben, die nicht selten ebenfalls bereits mit 14 Jahren beginnt. Auch die Pille hat weitreichende Folgen für den Hormonhaushalt der heranwachsenden Person.“ Ja, auch die Verschreibung der Pille, gerade an so junge Frauen, ist sicherlich problematisch. Andere Verhütungsmethoden wären zu bevorzugen. Aber das muss jede selbst wissen, und es steht auch jeder offen, nicht die Pille zu nehmen.
  15. Bezüglich der Ängste von Leuten vor Missbrauch glaube ich kaum, dass das eine Rolle spielt. Konstruierte Extrembeispiele kann es geben. Über Leistungssport möchte ich mich gar nicht auslassen, weil ich diesen rundheraus für nicht sinnvoll halte.

Das ganze Thema Geschlecht sollte nicht so hoch gekocht werden wie es derzeit der Fall ist. Die Einführung der Ehe für alle hat eine weitere Gleichberechtigung herbeigeführt, die schon lange überfällig war. Endlich sind alle frei, die Person zu heiraten, die das genauso möchte – unabhängig vom Geschlecht. Genauso wie Frauen schon lange Hosen tragen dürfen, sollte es auch Männern freigestellt sein, Kleider oder Röcke zu tragen. Ja, juristisch spricht nichts dagegen, aber gesellschaftlich offenbar noch immer. Lasst uns daran arbeiten, hier weitere Öffnungen voran zu treiben.

Es ist schön, dass mittlerweile viele öffentliche Toiletten genauso wie die häuslichen unisex geworden sind. Die Urinale kann man abschaffen oder in einen separaten Bereich verlegen beim nächsten Umbau. Kloschüsseln an sich sind aber nicht geschlechtsspezifisch. Und sie stehen ohnehin in Kabinen.

Mit einem genitalverändernden chirurgischen Eingriff kann ich mich nur bei Erwachsenen anfreunden, nicht bei Jugendlichen. Dafür gibt es noch zu viele Unsicherheiten bei der jeweiligen Person, die auch durchs Umfeld ausgelöst sein können, so dass ein irreversibler Eingriff wohl zu problematisch ist.

Vielleicht kann auch eine Lösung darin bestehen, offiziell zwischen Geschlecht (sex) und Gender zu unterscheiden. Die Gender-Leute haben den biologischen Begriff gekapert und möchten ihn gerne in die Bedeutung Gender (bzw. gender identity) umdefinieren. Das hat eine Ähnlichkeit mit dem Vorgang, dass geschlechtsneutrale Begriffe wie Person, Kind, Mitglied, Gast, Arzt, Polizist usw. insbesondere bei den Berufsbezeichnungen auf männlich umdefiniert wurden und das ganz euphemistisch und moralinsauer als „geschlechtergerechte Sprache“ geframet wurde, weshalb jetzt diverse Varianten gesprochen und geschrieben werden. Bei einigen wenigen früheren Berufsbezeichnungen wie „Feuerwehrmänner“ wird jetzt ja von „Feuerwehrleuten“ gesprochen, und das ist auch gut und richtig so. Bei den wirklich völlig neutralen Begriffen wie „Arzt“ oder „Portier“ wird das aber auf einmal am grammatischen Genus festgemacht. Zu diesem Thema schreibt Zydenbos sehr ausführlich in seinem Artikel Gendersprache, aber auch viele Prominente wie Elke Heidenreich („das ist alles Getue“), Nele Polatschek („Gendern ist Sexismus“, hier im Dlf zu hören) und Dieter Hallervorden (Gendern – Nein Danke!) als tatsächlich Sprachkundige haben sich hierzu geäußert. Ich werte sie als sehr viel bedeutender als die vielen im Artikel von Zydenbos zitierten Sprachwissenschaftler, die er auch genüsslich zerlegt.