Soziales
- Arbeitslosengeld, 2008-12-14
Das ALG-II ist seit Anfang 2005 eingeführt – und was hat es gebracht? Vor allem viele Prozesse vor den Sozialgerichten, viel Arbeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialbehörden, aber sehr wenig an Einsparungen für die öffentliche Hand.
Das Augenmerk möchte ich in diesem Kommentar aber auf die Gerechtigkeit des Anspruchs auf die ohnehin sehr mageren Leistungen für Arbeitslose legen. Es ist schon lange darüber diskutiert worden, Änderungen hat es aber nur für »ältere Arbeitnehmer« gegeben. Es ist heute beim ALG-I, dem eigentlichen Arbeitslosengeld aus der Arbeitslosenversicherung, völlig egal, ob man nur wenige Jahre oder aber Jahrzehnte eingezahlt hat. Leistungen gibt es immer nur für 12 Monate (mit der erwähnten Ausnahme für »ältere Arbeitnehmer«). Nun ist das bei anderen Versicherungen nicht anders. Wenn ich eine Haftpflichtversicherung abschließe und ich verursache am ersten Tag der Gültigkeit einen großen Schaden, so wird dieser auch in voller Höhe bezahlt. Trotzdem ist ein Webfehler im System.
Die Kosten für eine Haftpflichtversicherung sind sehr gering im Verhältnis zu der möglichen Summe, die sie zahlen muss, wenn etwas passiert – so in der Größenordnung des Jahresbeitrags zur maximalen Schadenssumme von mindestens 1:10000. Umgerechnet auf die Arbeitslosenversicherung hieße das, dass bei einem Jahresbruttoeinkommen von 3000€ monatlich und dem aktuellen Beitragssatz von 3,3% ergibt das einen Jahresbeitrag von 1188€. Bei einer Haftpflichtversicherung ergäbe das eine maximale Schadenssumme von 11,8 Mio. € – damit käme man schon ein Stück weit.
Natürlich hinkt dieser Vergleich völlig, denn die »Schadenshäufigkeit« ist in der Arbeitslosenversicherung sehr viel höher. Was aber bleibt, ist folgendes: Wenn ich nie einen Schaden habe, dann ist das Geld für meine Versicherung weg. Einerseits Glück gehabt (kein Schaden), andererseits Pech gehabt (Versicherung wäre nicht nötig gewesen). Genau dieser Risikoausgleich ist der Sinn der Versicherung an sich. Bei demjenigen, wo ein Schaden auftritt, muss aber wesentlich mehr an Versicherungsleistung herauskommen, als er eingezahlt hat. Sonst wäre es günstiger gewesen, selbst den Beitrag auf die hohe Kante zu legen und es im Schadenfall von dort zu nehmen. Dafür braucht man keine Versicherung!
Wenn der Durchschnittsverdiener seine 1188€ Jahresbeitrag aber 25 Jahre lang gezahlt hat, dann waren das – sogar ohne Berücksichtigung jeglicher Verzinsung – 29700€. Nach grober Rechnung bekommt er aber im schlimmsten Fall, dass er das Arbeitslosengeld ein Jahr lang bezieht, nur rund 14000€ heraus, also nur halb so viel wie er eingezahlt hat. Die Versicherung bringt also nur etwas, wenn er wesentlich früher oder sehr häufig arbeitslos wird. Ich glaube, dass ein privates Versicherungsunternehmen diese Art Versicherung nicht anbieten dürfte, weil die Versicherten hier zu schlecht gestellt sind.
Zweite Ungerechtigkeit, diesmal bezogen auf ALG-II. Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, hat keinen Anspruch mehr auf ALG-I, die Leistung aus seine eigenen Beiträgen. Statt dessen kann er ALG-II bekommen, die aus Steuermitteln gespeist wird und der früheren Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe entspricht. Hierbei wird aber »Bedürftigkeit« vorausgesetzt, ansonsten wird der Antragsteller darauf verwiesen, erst einmal seine Ersparnisse aufzubrauchen. Genau hier liegt das Problem. Wer immer fleißig gespart und eine Altersvorsorge aufgebaut hat, muss diese zunächst bis auf einen verschwindend geringen Rest verfrühstücken, bevor er ALG-II bekommt. Wer aber sein Geld mit vollen Händen ausgegeben hat, hat sofort einen Anspruch. Bei entsprechender Konstellation ist es möglich – und gar nicht mal so unwahrscheinlich – dass jemand ein hübsches Sümmchen an Altersvorsorge geschaffen hat, bis er 55 Jahre alt ist, dann arbeitslos wird und keine Stelle mehr bekommt. Nach einem Jahr gibt es kein ALG-I mehr, auf ALG-II gibt es keinen Anspruch, weil noch Erspartes da ist. Von diesem muss er leben, was so 10 Jahre lang reicht. Im Ergebnis hat er dann genau mit dem Renteneintrittsalter keine Altersvorsorge mehr, und auch keine Chance, noch einmal eine aufzubauen. Der Rentenanspruch ist auch noch deutlich geringer als angenommen, weil er in den letzten 10 Jahren ja nichts mehr eingezahlt hat.
Darf man jemandem, der bis zum Alter von 55 Jahren, also rund 35 Jahre lang die Sozialsysteme voll unterstützt hat und vorbildlich Altersvorsorge betrieben hat, wirklich alles so wegnehmen? Ich finde nein! Die Ersparnisse müssen geschützt sein, zumindest für jedes Arbeitsjahr 15% des Bruttoeinkommens. Das hieße für den Durchschnittsverdiener mit 3000€ monatlich pro Jahr 5400€. Nach den 35 Jahren im obigen Beispiel wären dann 189000€ geschützt. Das fände ich eine richtige Größenordnung. Die ganze Trickserei, dass Riesterprodukte ALG-II-sicher sind, andere Guthaben aber nicht, nimmt dem Bürger die Freiheit, die Art seiner Geldanlage und Altersvorsorge selbst zu bestimmen.
Eine andere Möglichkeit für ALG-II wäre, es bedürftigkeitsunabhängig zu zahlen, d. h. jeder, der aus ALG-I herausfällt, hat einen Anspruch, ohne Prüfung auf und ohne Anrechnung von Ersparnissen. Das würde den Ämtern schon sehr viel Arbeit ersparen, viele Prozesse verhindern, so dass es unter dem Strich vielleicht gar nicht so viel teurer wird. Dieses Konzept ist schon nah am »bedingungslosen Grundeinkommen«, das von Götz Werner mit seiner Initiative http://www.unternimm-die-zukunft.de/ propagiert wird. Aber genau so kann es gehen. Viele andere, sehr gute Argumente dafür kommen noch dazu.